Immer wieder bedienen sich Politikerinnen und Politiker bei andern. Sie geben fremde Gedanken für eigene aus oder schreiben schlicht ab. Und fühlen sich ungerecht behandelt, wenn sie ertappt werden.

In der Wissenschaft gilt das Abschreiben ohne Zitatangabe als geradezu verbrecherisch. Das mussten in den letzten Jahren einige Politikerinnen und Politiker auf die unsanfte Art erfahren. Die deutschen Minister Karl-Theodor zu Guttenberg und Annette Schavan wollten sich mit einem Doktortitel schmücken und haben dafür ein bisschen sehr geschummelt. Die Universitäten und die Öffentlichkeit verstanden keinen Spass. Zu Recht. Wissenschaft soll Erkenntnisgewinn bieten, nicht Abgeschriebenes. Politiker, die mit Plagiaten akademische Titel erschleichen, sind ungeeignet für öffentliche Ämter. Die logische Folge: Rücktritt ohne Comeback.

Wo es nicht um Wissenschaft geht, darf man, finde ich, ein bisschen lockerer sein. Politikerbücher sind (und da weiss ich, wovon ich schreibe) eben Politikerbücher und keine wissenschaftlichen Abhandlungen. Es gibt kein Copyright auf politische Ideen, auch nicht immer auf bestimmte Formulierungen. Das offenbar schnell zusammengeschusterte Buch einer deutschen Kanzlerkandidatin («Jetzt. Wie wir unser Land erneuern») ist peinlich, betrügerisch ist es nicht.

Oder nehmen wir einen, der es nach vielen Jahren so richtig geschafft hat: Joe Biden. Er ist für amerikanische Präsidentschaftsverhältnisse ein hochanständiger Politiker. Aber was für einen Blödsinn er früher machte: Biden klaute 1987 im Wahlkampf um die Präsidentschaftsnomination (ja, er hatte es schon vor über 34 Jahren versucht) aus einer Rede des britischen Labour-Vorsitzenden Neill Kinnock. Kinnock erzählt darin, wie er dank den Errungenschaften des Sozialstaates studieren konnte, was seinen Vorfahren verwehrt war. Biden gefiel das so gut, dass er es auf seine Familie übertrug, mit den gleichen Wörtern. Und weil nicht alles, was Kinnock sagte, auf Bidens Familie zutraf, änderte Biden – nicht Kinnocks Geschichte, sondern seine eigene. Seine internen Gegner (der später nominierte und gegen George H. Bush chancenlose Michael Dukakis) griffen Biden gnadenlos an. Er musste seine Kandidatur zurückziehen.

Was Biden auszeichnet (und europäische Politiker nicht so gut können): Um Entschuldigung bitten, wieder aufstehen, Staub abwischen und selbstironisch mit der Sache umgehen. Biden hat Kinnock später eingeladen und ihn seinen Mitarbeitenden vorgestellt: «Folks, I want you to meet my greatest ever speechwriter

Nachtrag: Von anderen abschreiben ist nicht klug, sich von anderen inspirieren lassen schon. Bei Abschlussreden zum Beispiel kann man das Rad nicht jedes mal neu erfinden – und es gibt so viele geniale Vorbilder. Ein paar Beispiele, die mich inspiriert haben, finden sich in hier.