Fast alle politischen Texte enthalten versteckte Botschaften, sozusagen das Kleingedruckte. Risiken und Unsicherheiten sind oft nur ganz dezent angedeutet. Häufig verstecken sie sich hinter besonders umständlichen Formulierungen. Wie findet man sie, die versteckten Botschaften in meist eher langen Texten?

Lernen kann man das gut von den Anwälten. Das Aufdecken von Argumentationsschwächen ist ihr Job. Eine erfahrene Anwältin hatte mich einst in ihre Scan-Methode eingeweiht: Sie durchforscht jeden Text auf Reizwörter, die Unsicherheit oder Vertuschungen kaschieren wollen. Sie praktiziert die Kunst der gnadenlosen Volltextsuche. Gesucht wird nach verdächtigen Selbstbestärkungen wie «zweifellos», «sehr» oder «ausserordentlich». Wenn jemand nicht einfach «überzeugt» ist, sondern «sehr überzeugt», will er damit oft Zweifel überdecken. Wenn eine Politikerin von «alternativlos» redet, ist es offensichtlich, dass es Alternativen gibt, welche die Politikerin aber nicht bereden will. Weitere Scan-Kandidaten sind: «Risik» (für Risiko und für Risiken), «Gefahr», «schwerwiegend», «ist davon auszugehen», «besteht die Möglichkeit» oder einfach nur «möglich».

Textmisstrauen ist wichtig. Du musst davon ausgehen, dass das wirklich Heikle oft versteckt ist. Es zu finden, ist nicht einfach. Ein nur leicht modifiziertes Beispiel aus meiner Politikwelt: Später, vielleicht Jahre später, fragt jemand, warum ein Projekt doppelt so viel gekostet habe. Der Berichtsautor verweist ohne Wimperzucken auf Seite 67, drittunterste Zeile. Dort steht wörtlich dieses Ungetüm: «Aufgrund der sich ständig ändernden äusseren Voraussetzungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die beantragten Mittel für den vollen Ausbau gemäss Beschrieb nicht ausreichen und zusätzliche Mittel im Umfang der bereits gesprochenen notwendig werden.» Wie sollst du einen solchen Satz auf Seite 67 finden? Und wenn du ihn findest, nicht beim Lesen einschlafen?

Der unerbittliche Volltextscan nach Schlüsselbegriffen hilft. Suchkandidaten in diesem Fall sind «zusätzliche Mittel». Oder auch «notwendig» – denn was ist schon notwendig? Und immer gilt: Nachfragen, gerade dort, wo der Text suggeriert, jede Nachfrage sei völlig unnötig, weil alles restlos klar sei. Textzweifel helfen aufzubauen, was es für jeden politischen Entscheid am Nötigsten braucht: Vertrauen.