Wenn ich einen Text fertig geschrieben habe, weiss ich: Jetzt kommt die Phase der Grausamkeit. Ich muss alles radikal kritisch durchlesen. Und vieles streichen. Der Prunk und die Verzierungen müssen weg. Die Füllwörter, die ich immer wieder verwende. Ausgefallene Formulierungen, die ich besonders kreativ fand. Nur so wird aus einem Text hoffentlich ein guter Text.

«In writing, you must kill all your darlings» ist eine alte Schreib-Regel. Woher der Spruch kommt, weiss niemand. Er wurde so verschiedenen Männern (und nie Frauen) wie Allen Ginsberg, William Faulkner, Oscar Wilde und Anton Tschechow zugeschrieben. Belegt ist jedenfalls Stephen Kings Ausspruch «Kill your darlings, kill your darlings, even when it breaks your egocentric little scribbler’s heart, kill your darlings» (in: On Writing, A Memoir of the Craft, Scribner: New York 2000, S. 222).

Dass Stephen King das Wort «kill» exzessiv verwendet, überrascht nicht. Aber hat er recht? Warum soll man seine Lieblinge aus Texten und Reden verbannen? Ganz einfach: Weil die eigenen Lieblinge oft nicht so toll sind, wie man selbst denkt. Liebhabereien muss man anderen nicht aufdrängen.

Für mich bleibt es schwierig, das alleine umzusetzen: Einige meiner Lieblinge kenne ich mittlerweile gut und habe akzeptiert, dass sie stören. Einfache Wörter wie «hingegen» und «auch», die es schon braucht, aber nicht so oft, wie ich meine. Dazu habe ich eine Schwäche für «absurd» und «skurril», auch dort, wo es nur sonderbar wirkt. Ich wandle mit diebischer Freude Zitate ab, wie zum Beispiel im letzten Blog, wo ich richtig originell schrieb «Leben lassen und leben» statt «Leben und leben lassen». Das war aber, merke ich jetzt, nicht originell, sondern verwirrend. Und in diesem Blog muss ich aufpassen, dass ich nicht eine barocke Brücke von «leben lassen» zu «kill your darlings» baue.

Die eigenen Marotten selbst zu erkennen, ist schwierig genug. Viel besser können es andere. Wohlwollende kritische Leserinnen und Leser. Sie stolpern über neue Wortkreationen und Schrulliges. Ich lasse deshalb jeden wichtigen Text von einer Person meines Vertrauens durchlesen. Sie zeigt dann fast immer auf eine mir besonders liebe Formulierung: «Kannst Du das nicht einfacher formulieren?». So ging es mir beim Lektorat zu In die Politik gehen und so geht es mir bei jedem Blogbeitrag und jedem Redemanuskript. Meistens (ok: nahezu immer) muss ich die Hinweise akzeptieren, manchmal halt murrend. Einfacher ist besser. Wenn ein Gedanke gut ist, braucht er keine originelle Formulierung.

Nachtrag: Noch ein Beispiel: Die oben angedeutete Brücke, muss die wirklich barock sein? — Und: Ist «Kill your darlings» zu hart formuliert? Formulierungen tötet man nicht, man kann sie einfach streichen. Fairer Punkt. Eine Anleitung wie «Choose your words carefully» wäre weniger mörderisch. Nur vergisst man so blutleere Belehrungen sofort wieder. Stephen King weiss das.