Die Frage ist trickreich. Und ich habe mich richtig schwer damit getan.

Als Vorsteher des Erziehungsdepartements finde ich es von Amtes wegen und auch persönlich gut, wenn Kinder einen Velohelm tragen. Aber ich selbst mag keine Helme. Mit meinem Kopfumfang von 62 Zentimetern passen mir die Schönen nicht. Ich bin tendenziell eitel wegen meiner Frisur. Und ich mag den Fahrtwind im schütter werdenden Haar. Deshalb habe ich mich lange geziert. Es gibt keine Helmpflicht in der Schweiz und ich darf doch wohl noch frei entscheiden! Jaja, darf ich. Aber wenn ich selbst keinen Helm trage, wie kann ich dann glaubwürdig Kinder zum Helmtragen anstiften?

Meine Helmverweigerung war inkonsequent. Ich finde Velohelme gut und wichtig und trage selbst keinen? Das geht nicht auf. Heute trage ich, mit abnehmenden Widerwillen, einen Helm. Natürlich rede ich mir ein, dass ich den Helm aus ganz freien Stücken aufsetze. Aber das stimmt nicht. Wenn ich nicht Verantwortung in der Bildungspolitik hätte, würde ich mich wohl noch immer ohne Helm aufs Velo schwingen.

Die Velohelm-Frage rührt an Grundsätzliches: Wie viel Privates ist politisch? Der Zeitgeist neigt nach meiner Beobachtung wieder stark zur Politisierung des Privaten. Das gilt mindestens für Amtsträgerinnen und Amtsträger. Zwischen der Privatperson und der Amtsperson wird kaum unterschieden. Viele Menschen erwarten, dass das Verhalten einer Politikerin stets auf einer Linie ist mit den Werten, die sie propagiert. Beim Velohelm ist das harmlos, im Grundsatz aber nicht. Denn wir alle verhalten uns natürlich nicht immer so vorbildlich, wie wir gerne möchten und vielleicht politisch propagieren.

Das macht es vor allem für Zeigefinger-Politiker schwierig: Je mehr tugendhaftes Verhalten – vom Flugverzicht über besonders hehre Familienwerte bis zu Drogenabstinenz – ein Politiker einfordert, desto enger zieht sich das Netz der Erwartungen. Desto eher tappt man in einen seiner eigenen Tugendtümpel.

Dagegen hilft der Grundsatz «Leben lassen und leben». Toleranz für andere Werte und anderes Sozial- und Privatverhalten ist noch kein politisches Programm. Aber ein brauchbarer Leitspruch für alle Politikerinnen und Politiker, um sich selbst (und uns allen) Freiheiten zu bewahren.


Nachtrag
: Das bekannte Zitat ist natürlich spiegelverkehrt, also «Leben und leben lassen». Es stammt aus Schillers Wallenstein, dem genialen Drama und Sentenzenspeicher. Auch von dort: «Ich hab› hier bloss ein Amt und keine Meinung», «Wer nichts waget, der darf nichts hoffen» oder «Was ist der langen Rede kurzer Sinn?» – viel Denk- und Blog-Material!