Das Ändern der eigenen Meinung ist in der Politik verpönt. Die Amerikaner nennen Meinungswechsel verächtlich «flip-flops». Auch bei uns wird erwartet, dass Politiker einmal gefasste Meinungen standhaft und verlässlich weitervertreten. Das ist der Quell vielen Übels. Ich halte mit drei Regeln dagegen:
- Wenn sich die Ausgangslage ändert, darf man die Meinung ändern.
- Wenn man dazulernt, darf man die Meinung ändern.
- Grundsätzlich darf man immer die Meinung ändern.
Ich habe viele Meinungen geändert, auch in wichtigen Themen. Zum Beispiel zu Fragen der Förderung und Chancengerechtigkeit an der Schule, einfach weil ich jetzt viel mehr weiss als früher. Oder zur Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare. Heute bin ich dafür, nach vielen Gesprächen und der Erforschung eigener, lange nicht kritisch durchdachter Wertvorstellungen.
Ich finde, man darf (auch) als Politiker jederzeit offen zu einem Meinungswandel stehen. Sich nicht zu ändern, ist keine Tugend.
Aber viele Politikerinnen und Politiker sehen sich lieber als «Meinungsfelsen», die jeder Brandung trotzen. Es sind oft diejenigen, die mit 20 schon gesprochen haben wie andere mit 60 (oder mit 60 so sprechen wie andere mit 20). Und je weiter rechts oder links von der politischen Mitte sich ein Politiker sieht, desto heftiger verteidigt er einmal gefasste Meinungen – auch gegenüber neuen Fakten.
Wenn ich meine Meinung ändere, gehe ich offen damit um und lasse mich nicht in die Defensive drängen. Ich erkläre, warum ich eine Meinung geändert oder, wenn ich doch etwas zurückhaltender sein will, «weiterentwickelt» habe (dazu angemessen politikerkritisch das New York Time Magazine: You and I Change Our Minds. Politicians «Evolve»).
Und gegen Schmähungen als Wendehals, Flip-Flopper oder Abtrünniger, gibt es einen friedlichen und entwaffnenden Gegenangriff: «When the facts change I change my mind. What do you do, Sir?»
Nachtrag: Der Satz mit der kecken Nachfrage wird gemeinhin John Maynard Keynes zugeschrieben. Wie häufig bei allgemein gültigen Weisheiten ist das aber umstritten. Ich habe ihn jedenfalls nur ausgeliehen und nicht selbst erfunden!