Vor einem Jahr waren Video Calls neu und spannend. Heute bin ich nicht mehr so begeistert. Das Problem ist, dass es zu viele Calls geworden sind und dass viele Calls qualitativ schlecht sind.

Zoom, MS-Teams und Konsorten können das reale Zusammenkommen nicht ersetzen und haben unangenehme Nebenwirkungen. Nach einem Video-Tag ist man ausgelaugter als nach anderen Marathon-Tagen: Müde Augen, müder Kopf, Beine ohne Erinnerung an Bewegung. Kein guter Zustand.

Klar scheint: Die Video Calls sind gekommen, um zu bleiben. Es ist derart praktisch, wenn man sich für eine halbe Stunde sehen kann ohne jede Wegstrapaze.

Deshalb müssen wir die Video Calls dringend besser machen. Weniger, klarer, kürzer. Ich habe mir (nicht während eines Calls!) fünf Sachen notiert, die ich gerne anders möchte:


1. Video ergänzt, es ersetzt nicht

Menschen in Video Calls sind sich nicht nur räumlich weniger nahe als Menschen an einem echten Treffen. Es fehlt – etwas esoterisch gesprochen – eine elementare Bindung. Man bekommt über Video viel weniger mit, was die andere Person bewegt. Man kümmert sich weniger umeinander. Das senkt die Qualität des Austausches, menschlich und inhaltlich.

Ich möchte wieder die ganzen Menschen sehen und ihnen in die Augen schauen (geht auch mit Maske). Wir brauchen Körpersprache und wir brauchen Augenkontakt. Wir brauchen Nähe. Sobald wir wieder dürfen, muss das meiste wieder sein wie früher. Ein Grundsatz für nach der Pandemie sollte sein, dass auf einen oder zwei Video Calls immer ein persönliches Treffen folgen muss.

2. Kürzer ist besser

Kürze ist auch für physische Sitzungen ein guter Qualitätsindikator. Aber physische Sitzungen können aus guten Gründen manchmal länger dauern als zwingend nötig. Wenn Teilnehmende 30 Minuten Weg hinter sich haben, kann die Sitzung nicht gut nach 20 Minuten fertig sein. Wäre unanständig. Und vielleicht will man vor der Sitzung noch zusammen Kaffee rauslassen. Und nachher noch plaudern. Diese (auch schönen) Nebenbeschäftigungen fallen beim Video Call weg. Da kann man einfach loslegen und einfach wieder aufhören.

Das Gefühl, eine Sitzung mit Knopfdruck zu verlassen, bleibt für mich sonderbar. Aber es ist natürlich supereffizient. Diese Effizienz ist ungemütlich, aber wir könnten sie immerhin besser nutzen. Ich bin dafür, Video Calls grundsätzlich nur halb so lang anzusetzen wie eine klassische Sitzung.

3. Das eigene Bild muss weg

Ich schaue morgens in den Spiegel zum Rasieren und Krawattebinden und dann noch ein paar Mal am Tag beim korrekten epischen Händewaschen. Mehr muss ich mich nicht sehen. In Video Calls sehe ich mich ständig. Und schaffe es nicht, mich nicht immer wieder anzuschauen. Das kommt mir unnatürlich vor.

Wer mit jemand anderem spricht, sollte den anderen anschauen – und jedenfalls nicht sich selbst. Das eigene Bild muss weg. Das geht leicht (mindestens bei Zoom) und verbessert das Videoerlebnis sofort.

4. Kein Multitasking

Die Versuchung, während eines Video Calls noch etwas anders zu machen, ist fast unwiderstehlich. Aber Multitasking ist unproduktiv, ungesund (das Ausgelaugtsein am Abend kommt auch davon) und respektlos gegenüber anderen im Call. Ich bin für klare Deals: Du versprichst mir, nicht deine Mails zu checken, und ich verspreche dir, dass ich deine Zeit nicht verschwende.

Aber was ist mit den überlangen Calls, bei denen du nichts sagen musst oder erst in 20 Minuten etwas für dich Interessantes kommt? Die sollten gar nicht stattfinden oder mindestens ohne dich.

5. Keine Video Calls direkt nacheinander

Zwischen zwei echten Sitzungen liegt Raum und Zeit. Selbst wenn dein Tag eng getaktet ist, gibt es praktisch immer kurze Pausen zwischen Sitzungen und meist einen Ortswechsel. Man bewegt sich, atmet durch. In der Videowelt sitze ich immer am gleichen Platz und muss die Zeitpuffer selbst schaffen.

Meine Regel: Keine Video Calls direkt nacheinander. Das Pausenminimum sollte eine halbe Stunde ohne Screentime sein. Stattdessen: Herumgehen, etwas Gedrucktes lesen oder mit Menschen in Fleisch und Blut sprechen. Das funktioniert ganz gut und hilft gegen das Ausgelaugtsein am Abend.

Habt ihr weitere oder andere Ideen? Ich bin interessiert (info@conradincramer.ch).