Etwas vom Spannendsten in der Politik ist, dass du ganz unterschiedlichen Menschen begegnest, mit ganz unterschiedlichen Sprachgewohnheiten. Konkret: Der Ton in der Pausenkantine der Feuerwehr ist ein deutlich anderer als im Lehrerzimmer. Wenn eine Lehrerin an einer Lehrerkonferenz gegenüber einem Kollegen Kritik äussert, kann es sein, dass du das noch nicht mal als Kritik erkennst, während das Lehrerkollegium im Schock über so viel Unfrieden erstarrt ist. Wenn der Feuermann kritisiert, wackeln dir die Ohren, während die anderen Feuermänner ungerührt ihren Helm polieren. Eine Professorin, die mit deiner Politik nicht einverstanden ist, greift dich anders an als ein Mitarbeiter der Müllabfuhr. Die verschiedenen Sprachen dieser Menschen, die solltest du alle verstehen.

Einer meiner ersten Besuche als Regierungsrat war in einer Berufsschulklasse der Automechatroniker. Der Berufsschullehrer, der selbst eine Mechanikerausbildung hatte, fragt einen Lehrling etwas mit Motoren. Der antwortet, offenbar ziemlich unrichtig. Der Berufsschullehrer schaut böse, bildet mit Daumen und Zeigefinger eine Pistolenform, zeigt damit auf den Schüler, sagt «Komplett falsch, mein Freund.» und hebt seine Pistolenhand zum virtuellen Abschuss. Der Lernende grinst, sagt «Oh Mann, Shit.», die ganze Klasse grinst, es geht weiter, und alles ist völlig okay. Das gleiche Verhalten eines Lehrers wäre in einer anderen Schulsituation völlig deplatziert. Es gäbe Elternproteste und ein ernstes Gespräch mit der Schulleiterin. Beides ist nicht falsch – der Kontext zählt.

Als Politiker pendelst Du zwischen den Lebens- und Sprachwelten. Du solltest verstehen, was wo wann wie gemeint ist. Wann musst du es ernst nehmen, wenn dir jemand den Weltuntergang prophezeit und wann ist das nur ein Drama-King? Das kann man nicht theoretisch lernen. Du lernst es praktisch, indem du dich in möglichst viele Milieus begibst, mit möglichst vielen Leuten sprichst, dein eigenes Umfeld und deine Leute nicht gerade meidest, aber nicht für allein massgeblich hältst. Politik heisst auch: Rausgehen zu den Menschen, um möglichst viel mitzubekommen und zu verstehen.

Übrigens: dieses Rausgehen fehlt mir in der Corona-Zeit enorm. Ohne meine Besuche in den Schulen, auf den Sportanlagen und in den Büros und ohne den direkten Kontakt mit vielen Menschen kann ich meinen Job nicht so machen, wie ich möchte und sollte. Je länger das ganze dauert, desto klarer wird die Erkenntnis: Digitaler Kontakt ist besser als nichts. Aber digitaler Kontakt ersetzt nie den echten Kontakt. Das Potential von Videokonferenzen und Streamingveranstaltungen ist beschränkter als wir dachten – gerade für die politische Arbeit.