Vielleicht hast du auch besondere Scheu vor bestimmten Menschen und Situationen, vielleicht hast du Versagensängste. Ich hatte bis ins reife Mannesalter einen übersteigerten Respekt vor allen Männern, die mit den Händen arbeiten. Wie das psychologisch zu deuten ist, will ich offenlassen. Jedenfalls wurde mir von klein auf vermittelt, dass ich zwei linke Hände habe. Das führte dazu, dass ich mich Männern in Overalls unterlegen fühlte. Ich hatte Angst, mich als Nerd blosszustellen, der eigentlich gar nichts kann. Es war mir unangenehm, mein Auto zur Reparatur zu bringen, weil ich nicht wusste, wie man die Motorhaube öffnet, und mir vorstellte, wie sehr der Automechaniker mich verachtet, wenn ich diesen kleinen Hebel irgendwo unter dem Steuerrad nicht finde oder, noch schlimmer, ihn zwar finde, aber nicht weiss, ob ich ihn ziehen, drücken oder drehen muss. Später bemerkte ich, dass Automechaniker sich üblicherweise gar nicht mit der Verachtung von Kunden befassen, sondern mich höchstens etwas schüchtern fanden hinter meiner Brille.

Ein ganz ähnliches Problem hatte ich mit Lehrpersonen. Als ich mein Amt im Erziehungsdepartement antrat, war meine grosse Angst, dass ich nicht mithalten kann mit den Kenntnissen der Lehrerinnen und Lehrer, nicht als Chef akzeptiert würde, weil ich keine pädagogische Ausbildung und noch nicht mal Kinder hatte. Tatsächlich konnte ich in keiner Weise mit den Kenntnissen und der Erfahrung jeder einzelnen Lehrperson mithalten. Meine Angst war dennoch unberechtigt. Es brauchte einige Gespräche, bis ich das Offensichtliche begriff: Ich muss nicht mithalten. Niemand erwartet von mir, dass ich ein Pädagoge bin, so wie der Automechaniker nicht erwartet, dass ich ihm etwas zum Keilriemen sage.

Bei den Lehrern ging ich in die Offensive und begann meine erste Rede vor den versammelten über 3 000 Lehrpersonen mit vier Worten: «Ich habe keine Ahnung». Das gab einen guten Effekt, aber es war auch ehrlich. Vor allem war es eine Botschaft für mich selbst: Du hast keine Ahnung und das ist in Ordnung. Ich muss nicht alles können und wissen. Es genügt, dass ich neugierig bin, wirklich zuhöre, nicht selbst glänzen will und keine Angst habe, Fragen zu stellen, die mein Unwissen entlarven.