Es ist nicht so, dass Politiker besonders viel Selbstbewusstsein haben. Ich kenne einige, die richtig schüchtern sind. Das ist ein Problem, da deine politische Attraktivität auch davon lebt, dass du auf Leute zugehst, mit Leuten sprichst, die Initiative für Kontakte ergreifst.

Falls du schüchtern bist und dich nicht wohlfühlst unter wildfremden Menschen, kannst du deine Schüchternheit herausfordern. Eine gute Übung ist, täglich drei wildfremde Leute anzusprechen. Gelegenheiten, alten Menschen über die Strasse zu helfen, gibt es ja tatsächlich. Jeden Tag kannst du jemandem die Tür aufhalten und etwas Nettes sagen. Du kannst, wie das in den USA viele Leute ständig tun, einer wildfremden Person sagen, wie schön du ihren Mantel oder ihre Ohrringe findest. Du kannst an der Bushaltestelle jemandem fragen, ob er schon lange auf den Bus warte. Du kannst auch generell Leute anlächeln. Je alberner du diese Übung findest, desto beherzter empfehle ich sie dir. Sie wird dich stärken, und als schönen Nebeneffekt verbreitest du etwas Freundlichkeit auf der Welt.

Das gilt besonders an den vielen Small-Talk-Anlässen, denen du dich in der Politik aussetzt (bzw., Stand Februar 2021, bald wieder aussetzen darfst). Ich weiss: An einem Empfang herumzustehen, niemanden zu kennen und dann einfach Leute anzusprechen, ist für die meisten von uns keine verlockende Vorstellung. Aber Leute anzusprechen ist nie peinlich und nie schmerzhaft. Du brauchst es nicht zu lernen, nur zu üben. Du musst nur deine innere Barriere überwinden. Das allerdings ist nicht ganz einfach. Ich hatte lange grosse Mühe, mir unbekannte Leute anzusprechen. Geholfen hat mir ein klassisches Verkaufstraining, das meine damalige Kanzlei uns verschüchterten jungen Anwälten auferlegt hatte. Verkäufer sind auf ihre Art weise Menschen und wissen: Es tut nicht weh, jemanden anzusprechen. Geholfen hat mir auch, dass meine Hintergedanken heute ganz harmlos sind: Als Politiker muss ich den Leuten weder Heizdecken noch anwaltliche Beratung verkaufen.